Quakenbrück – Dass unsere Lebensmittel sicher bleiben und nachhaltiger werden müssen, ist offensichtlich. Wie das konkret gelingen kann und welche Rolle Technologien dabei spielen, diskutierten die Teilnehmenden des ersten DIL Technology Days.
Das DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e. V. lud Mitte Juni zum ersten DIL Technology Day ins niedersächsische Quakenbrück. Am Standort des Forschungsinstituts der Lebensmittelwissenschaft trafen sich Expert:innen und Branchenvertreter:innen, um sich zwei Tage lang über aktuelle Technologien und zukunftsweisende Ideen auszutauschen. Das Besondere an der Veranstaltung: Neben den Vorträgen namhafter Referent:innen aus Industrie und Forschung konnten die Teilnehmer:innen, die aus dem In- und Ausland angereist waren, Lebensmitteltechnik hautnah erleben – über 20 verschiedene Aussteller waren mit ihren Produkten vertreten. Auch im Artland ansässige Unternehmen wie Uhde High Pressure Technologies und Elea Technology luden zur Besichtigung ihrer Produktionshallen ein. Zudem präsentierten die sechs Startups des in Quakenbrück angesiedelten Hightech-Inkubators Growhouse – Kynda Biotech, Bioweg, hs tumbler, Engineered Food Solutions und Frudist – ihre Technologien.
Keynotes und Themen-Sessions bilden den Rahmen
In seiner Eröffnungsrede gab Dr. Volker Heinz, Geschäftsführer und Vorstand des DIL, die thematischen Schwerpunkte des Events vor: Lebensmittel- und Biotechnologie, Nachhaltigkeit und sichere Zutaten - „die gleichen Themen wie immer“ und zugleich die Säulen der Arbeit am DIL. Die Geschichte der Lebensmittelproduktion sei eine Geschichte von Mangel- hin zur Überernährung. Heutzutage sollte die Devise lauten: „More from less!“ Lebensmitteltechnologien spielten dabei eine zentrale Rolle, denn unsere Rohstoffe seien „besonders dann wertvoll, wenn wir Technologien haben, sie zu veredeln und zu attraktiven Produkten umzugestalten.“ Diese wiederum müssen auch von der Gesellschaft akzeptiert werden. Letztendlich müsse man die Lebensmittelerzeugung immer ganzheitlich betrachten, Stichpunkt „Systems Approach“. Der DIL Technology Day trage von nun an regelmäßig dazu bei, indem er die Praxis der industriellen Lebensmittelerzeugung mit der Forschung & Entwicklung zusammenbringe.
Friederike Grosse-Holz vom Risikokapitalfonds Blue Horizon macht in ihrem Vortrag die Notwendigkeit von Veränderungen deutlich: In den nächsten Jahrzehnten erwarte uns ein deutlicher Bevölkerungszuwachs, während das Lebensmittelsystem „ein wesentlicher Hebel der Klimakrise“ sei. Nicht nur die Nachhaltigkeit, auch die Gesundheit sei ein wesentlicher Aspekt. So sei heute einer von vier Todesfällen auf ungesunde Ernährung zurückzuführen. Technologien, neue wie alte, wiederentdeckte, hätten das Potenzial, unsere Lebensmittel nachhaltiger und gesünder zu machen. Viele (junge) Firmen würden an Antworten auf die drängenden Fragen der Menschheit arbeiten, und bestimmte Events wirkten wie Trigger auf Investments in die AgriFoodTech-Branche.
In seiner Keynote beschäftigte sich Prof. Dr. Erich Windhab, erster wissenschaftlicher Direktor des DIL von 1985 bis 1992 und mittlerweile Dozent an der ETH Zürich, mit dem Brückenschlag zwischen Industrie und Forschung. Bei der Entwicklung von Innovationen gebe es eine Lücke zwischen dem, was Hochschulen leisten können, und dem, was Unternehmen leisten möchten. Diese Lücke beim sogenannten Technologie-Reifegrad füllten Startups, die bereit seien, Risiken einzugehen. Den zeit- und arbeitsintensiven Weg von der Grundlagenforschung hin zur Industrieanwendung verdeutlichte Windhab am Beispiel der sogenannten Foaming Extrusion, mit der erfolgreich fleischähnliche Texturen erzeugt werden können.
Lebensmittelbiotechnologie und -physik für sichere Lebensmittel mit kleinem CO2-Fußabdruck
Boris Brockhaus von Uhde High Pressure Technologies präsentierte die Behandlung von Lebensmitteln mit Drücken von bis zu 6.000 bar als schonende Methode der Konservierung. Die Hochdruckbehandlung ermögliche es, Produkte in ihrer Endverpackung haltbar zu machen und könne bei vielen Produktgruppen Anwendung finden.
Christine Kasten der Firma Air Liquide präsentierte die Erkenntnisse aus dem Gefrieren von High-Moisture-Extrudaten. Gemeinsame Versuche mit dem DIL hätten gezeigt, dass der Gefrier- und Auftauprozess bei Extrudaten auf Soja- und Erbsenbasis zu wenig Zellschäden führe; entgegen der Erwartung sei nicht die Größe der Eiskristalle entscheidend, sondern die stabilen Strukturen, die während der Extrusion entstünden.
Ebenfalls mit der Extrusion befassten sich Dr. Nina-Katharina Krahe und Franziska Schummer von Kynda Biotech. Statt pflanzlicher Proteine stand das Myzel, also der nicht sichtbare Teil von Pilzen, im Fokus des gemeinsamen Vortrags. Mit neuartigen Bioreaktoren sei es auch für Laien möglich, Myzelbiomasse zu erzeugen, die dann z.B. im Extruder zu Fleischanalogen weiterverarbeitet werden könne.
Dr. Andreas Juadjur, Abteilungsleiter Chemische Analytik am DIL, brachte dem Publikum die Themen Lebensmittelsicherheit und -authentizität näher und beendete die Vortragsreihe an Tag eins. Er berichtete von der Entwicklung einer Schnellmethode zum Nachweis von (unerlaubten) Textilfarbstoffen in Lebensmitteln und präsentierte die Kernspinresonanzspektroskopie, mit der sich beispielweise die Verfälschung von Honig oder Nahrungsergänzungsmitteln nachweisen lasse.
Innovationen im Visier
Abends lud Christian Kircher, Geschäftsführer der Landesinitiative Ernährungswirtschaft Niedersachsen (LI Food) im Artland Kotten zum Panel Talk. Frank Schroedter von Engel & Zimmermann, Florian Stöhr vom Seedhouse Accelerator und Roger Cericius, Co-Gründer der innotonic GmbH und Geschäftsführer von Futur X, gingen u.a. der Frage nach, wie viel Kreativität und wie viel Struktur Innovationen brauchen und wer der tatsächliche Treiber hinter Innovationen ist.
Frank Schroedter eröffnete dann Tag zwei mit einem Vortrag über die Kommunikation von Innovationen in der Lebensmittelbranche. Diese sehe sich generell mit einer „Technik-Skepsis“ konfrontiert. Verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation trügen dazu bei, diese Skepsis zu überwinden, etwa das Erlebbarmachen von Produkten oder gute Medienarbeit. Daneben gab Herr Schroedter einen Einblick in den Deutschen Innovationsreport Food 2023, der gemeinsam mit dem DIL entstanden ist. Eine Erkenntnis daraus: Das Potenzial von Prozesstechnologien werde als groß angesehen – aber in der Praxis noch nicht in dem Maße genutzt.
Mehr Nachhaltigkeit durch KI, Innovationsförderung in der EU und die Nutzung vermeintlicher Agrarabfälle
Zur Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) und Vernetzung in der Lebensmittelproduktion referierte Jörg Brezl von SLA Software Logistik Artland. So stellte er u. a. ein gemeinsames Projekt mit der Firma Brand Qualitätsfleisch aus Lohne vor, bei dem die Anwendung von KI in der Begutachtung von Schweineschlachtkörpern erfolgreich getestet worden sei.
Den Arbeitsschwerpunkt ihrer Initiativen und damit eine andere Art der Vernetzung präsentierten Yu-Mi Lee und Malte Stumpenhorst von EIT Food im gemeinsamen Vortrag mit Alexander Märdian, Leiter des Innovation Hub am DIL. Erklärtes Ziel sei es, Innovationen in der Lebensmittelindustrie voranzutreiben und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren zu fördern.
Deutlich technischer war der Vortrag von Frank Hrach, Firma ST Equipment and Technology, und Luise Wochenfuß aus der Abteilung Verfahrenstechnik am DIL. Im Fokus stand die sogenannte triboelektrische Separation, ein Verfahren, das bisher v.a. aus der Mineralstoffindustrie bekannt gewesen sei und nun im Rahmen eines gemeinsamen Projekts für die Anwendung bei Lupinen- und Rapspresskuchen getestet werde.
Zum Abschluss der Vortragsreihe erklärte Friedrich Witschi von Circular Food Solutions, wie aus Nebenströmen der Bierproduktion (Biertreber) nachhaltige Fleischalternativen werden. Grundlage dafür sei ein neuartiges High Moisture-Extrusionsverfahren, das aus vier Zutaten ein Halbfabrikat für die Weiterverarbeitung zum Fleischersatz erzeuge.
„‚Technology for a changing World‘ - unter diesem Motto hat der erste DIL Technology Day 2023 eindrucksvoll gezeigt, welche Möglichkeiten die Lebensmitteltechnologie und vor allem die Zusammenarbeit von Forschern und Praktikern bietet. Ich freue mich sehr, dass die Auftaktveranstaltung nach dem ersten Feedback großen Zuspruch gefunden und unser Team direkt damit begonnen hat, den nächsten DIL Technology Day am 11. & 12. Juni 2024 wieder am DIL in Quakenbrück vorzubereiten“, so Institutsleiter Dr. Volker Heinz.