Reduktion von Blausäure in Leinsamenpresskuchen

Der weltweite Markt für Leinöl wächst stetig, da Verbraucher zunehmend Leinsamenöl als wertvolle Quelle für mehrfach ungesättigte Fettsäuren wie Alpha-Linolensäure (Omega-3) schätzen.

Ein Nebenprodukt der Ölgewinnung ist Leinsamenpresskuchen, der aufgrund seines hohen Protein- und Ballaststoffgehalts sowie eines Restfettanteils von etwa 10 % großes Potenzial für die Lebensmittelindustrie bietet. Dennoch wird er bislang überwiegend als Tierfutter eingesetzt. Der Hauptgrund hierfür ist sein natürlicher Gehalt an cyanogenen Glycosiden, die durch enzymatische Spaltung toxische Blausäure (HCN) freisetzen können.
Für den menschlichen Verzehr regelt die Verordnung (EU) 2023/915 für ganze oder zerkleinerte Leinsamen einen Höchstgehalt von 150 mg HCN/kg. Der Blausäuregehalt von Leinsamenpresskuchen liegt jedoch meist weit über diesem Grenzwert, sodass eine sichere Nutzung in Lebensmitteln nur mit geeigneten Verfahren zur Blausäurereduktion möglich ist.

Ganzheitlicher Forschungsansatz zu Lein und seinen Nebenprodukten
Im Forschungsprojekt Linovit wurden Lein und Leinsamenpresskuchen aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht. Das DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e. V., die Ölmühle Moog GmbH sowie das INRES – Nachwachsende Rohstoffe der Universität Bonn analysierten gemeinsam die qualitätsbildenden und -mindernden Inhaltsstoffe von Lein und dessen Verarbeitungsprodukten. Die Förderung des Projektes erfolgte aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgte über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau.

Während das INRES die Auswirkungen von Standort und Anbaubedingungen auf die Entstehung von Blausäurevorstufen untersuchte, befasste sich die Ölmühle Moog mit der Pressung der Samen, die Analyse der Ölqualität und der Produktentwicklung mit Leinsamenpresskuchen. Das DIL entwickelte technologische Verfahren zur gezielten Reduktion des Blausäuregehalts im Presskuchen und analysierte dessen funktionelle Eigenschaften.

Prozess zur Blausäurereduktion
Am DIL wurde eine dreistufige Prozesskette entwickelt, die eine signifikante Reduktion der Blausäure ermöglicht. Die Reduktion der cyanogenen Glycoside erfolgte in zwei Schritten: Zunächst wurden sie enzymatisch zu Blausäure hydrolysiert, bevor die freigesetzte Blausäure gezielt aus dem Produkt entfernt wurde. Der entwickelte Prozess kombiniert diese Schritte in einem kontinuierlichen Verfahren, das sich für die industrielle Skalierung eignet:
•    Inkubation: Presskuchen wird mit Wasser vermischt und unter Wärmeeinwirkung inkubiert, um die natürlich enthaltenen Enzyme zu aktivieren und eine kontrollierte Spaltung der Glycoside zu erreichen.
•    Extrusion: Hohe Temperaturen und mechanische Scherung bewirken eine Verdampfung der Blausäure, die gezielt über eine Entgasungseinheit entfernt wird.
•    Trocknung: Die abschließende Trocknung stabilisiert das Produkt und stellt eine lange Haltbarkeit sicher.
Mit dieser Methode konnte der Blausäuregehalt von ursprünglich 390 mg/kg TS auf unter 40 mg/kg TS gesenkt werden, was deutlich unter dem gesetzlichen Grenzwert von 150 mg/kg liegt.

Herausforderungen in der Blausäureanalytik
Ein weiteres Ergebnis des Projekts war die Identifikation analytischer Herausforderungen bei der Bestimmung des Blausäuregehalts in Leinsamenpresskuchen. Variationen in der Probenaufbereitung, den enzymatischen Hydrolysebedingungen und den verwendeten Detektionsmethoden führten in der Praxis zu erheblichen Unterschieden in den Analyseergebnissen.
Im Rahmen eines Laborvergleichs mit acht Analytiklaboren sowie eines Round Tables mit Expertinnen und Experten aus Forschung, Industrie und Analytik wurde festgestellt, dass bisher keine standardisierte Methode für die Bestimmung des Blausäuregehalts in Leinsamenpresskuchen existiert. Insbesondere die vollständige Spaltung der Glycoside und die Auswahl einer geeigneten Enzymquelle wurden als kritische Faktoren identifiziert.

Potenzial für die Lebensmittelindustrie
Das entwickelte Verfahren bietet neue Möglichkeiten für die Nutzung von Leinsamenpresskuchen als sichere Zutat in Lebensmitteln. Neben der erfolgreichen Blausäurereduktion wurden die Auswirkungen der Behandlung auf technofunktionelle Eigenschaften untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass der extrudierte Presskuchen weiterhin für die Herstellung texturierter Proteine für Fleischersatzprodukte geeignet ist.
Zukünftige Forschungsarbeiten sollten sich darauf konzentrieren, die Prozessparameter der Extrusion weiter zu optimieren, um die Proteinfunktionalität bestmöglich zu erhalten. Zudem ist die Entwicklung standardisierter Analysemethoden notwendig, um eine zuverlässige Bewertung des Blausäuregehalts von Leinsamenpresskuchen zu gewährleisten. Darüber hinaus müssen Strategien für eine sichere Ableitung und Entfernung der freigesetzten Blausäure im industriellen Maßstab erarbeitet werden, um eine breite Anwendung in der Lebensmittelindustrie zu ermöglichen.