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Optimierung des Rührprozesses

Optimierung des Rührprozesses in Hinblick auf mechanische Belastungen bei der Verarbeitung stückiger Fruchtzubereitungen mithilfe einer neuronumerischen Prozessführungsstrategie

Koordinierung: Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI), Bonn
Forschungsstelle I: Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e.V. (DIL), Quakenbrück Dr. Volker Heinz/Dr. Knut Franke
Forschungsstelle II: Technische Universität Berlin Institut für Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie FG Lebensmittelbiotechnologie und -prozesstechnik Prof. Dr. Cornelia Rauh/Dipl.-Math. Tobias Horneber
Industriegruppe(n): VDMA-Fachverband Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen e.V., Frankfurt
Projektkoordinator: Karsten Ollesch Glass GmbH & Co. KG, Paderborn
Laufzeit: 2016 - 2018
Zuwendungssumme: € 499.060,-- (Förderung durch BMWi via AiF/FEI)

Ausgangssituation:
Die thermische Prozessierung von Rezeptur-komponenten zählt im Lebensmittelbereich zu den Grundverfahren, über die die Voraus-setzung für die Herstellung qualitativ hoch-wertiger Produkte geschaffen wird. Für Mi-schungen von Feststoffen in flüssigen Pha-sen erfolgt die Prozessierung vielfach im Rührbehälter. In diesem Zusammenhang er-weist sich die Beschädigung von mecha-nisch empfindlichen, grobstückigen Parti-keln, wie Früchten und Fruchtstücken, als problematisch. Während das Erreichen einer kurzen Prozesszeit insbesondere während Aufheiz- und Abkühlphasen in Rührbehä-ltern einen hohen mechanischen Leistungs-eintrag erfordert, setzen die grobdispersen Bestandteile eine schonende Verarbeitung mit möglichst niedrigem Leistungseintrag voraus. Es war nicht bekannt, welche mechanische Beanspruchung beim Rühren hauptsächlich zur Schädigung der Einlagen führt. Auch ließ sich der Einfluss der Rezep-tur selbst, insbesondere die rheologischen Eigenschaften der kontinuierlichen Phase, nicht vollständig einschätzen. In der Konse-quenz waren Einschränkungen bezüglich der Rezepturgestaltung gegeben. Fruchtzuberei-tungen mit mechanisch stark empfindlichen Komponenten wie Beeren oder geschnitte-ner Würfelware konnten nicht angeboten werden.
Ziel des Forschungsvorhabens war es des-halb, auf Basis charakteristischer Disper-sionsdaten und Prozesszustände die me-chanische Schädigung von Fruchtstücken in Rührprozessen zu minimieren. Zu diesem Zweck sollten Handlungsempfehlungen in Form produkt- und prozessspezifischer Pro-zessfenster entwickelt werden, die der Er-mittlung der optimierten Fahrweise von Rührapparaten zur Verarbeitung von Frucht-zubereitungen dienen. Das Optimierungs-kriterium war eine möglichst geringe Zer-störung der enthaltenen Partikeln unter gleichzeitiger Gewährleistung erwünschter thermischer Prozesse. Der Fokus des so ge-planten Leitfadens sollte auf der Optimie-rung bereits im Einsatz befindlicher Rühr-apparate in unterschiedlichen Produktions-maßstäben liegen.

Forschungsergebnis:
In einem ersten Schritt wurden dazu die relevanten Fruchtarten und zu berücksich-tigenden Rührergeometrien mit dem Projekt-begleitenden Ausschuss abgestimmt. Sei-tens der Forschungsstelle (FS) 1 wurden zu-nächst die mechanischen Eigenschaften von Früchten bzw. Fruchtstücken gemessen und daraus die relevanten Stoffdaten als Basis für die Entwicklung der Modellkörper be-stimmt. Darüber hinaus wurden industrielle Fruchtzubereitungen hergestellt und die ab-getrennte kontinuierliche Phase rheologisch charakterisiert. Deren Fließverhalten ein-schließlich der Temperaturabhängigkeit wurde durch Modelle beschrieben, die eine Basis für die Strömungssimulation bei FS 2 bildeten. Weiterhin wurden durch FS 1 Rühr-experimente mit den vom Projektbeglei-tenden Ausschuss vorgeschlagenen Rühr-ergeometrien durchgeführt. Dabei wurden Modellsysteme mit kontinuierlichen Phasen, die unterschiedliche Fließverhalten aufwie-sen, und den Modellköpern aus Carrageen-Gel bei verschiedenen Bedingungen gerührt. Es wurden sowohl kontinuierliche Phasen mit NEWTONschen als auch mit nicht-NEWTONschen Fließverhalten einbezogen, wobei die Viskosität in einem bereiten Be-reich variiert wurde. Aus dem jeweiligen Leistungseintrag, den relevanten Stoffwer-ten sowie der Rührergeometrie wurden die dimensionslosen Kennzahlen NEWTON- und REYNOLDS-Zahl für den Rührprozess er-mittelt sowie der Zusammenhang zwischen diesen Größen (Leistungscharakteristik) mathematisch beschrieben. Darüber hinaus wurden durch den Rührprozess bedingte Veränderungen an den Modellkörpern (Ab-rundung) über geeignete Formfaktoren quantifiziert. Über ein statistisches Re-gressionsmodell, das die Kennzahlen des Rührprozesses einbezieht, konnte der Zu-sammenhang zwischen der Änderung der Form der Modellkörper und den Rührbe-dingungen für die verschiedenen kontinu-ierlichen Phasen mathematisch beschrieben werden. In einem weiteren Schritt wurde ein verallgemeinertes statistisches Modell so weit entwickelt, dass mit dessen Hilfe die optimalen Bereiche in den Rührbedingungen bezüglich der Minimierung der Partikel-schädigung vorhersagbar sind.
Als Grundlage für die Entwicklung eines geeigneten Modells für strömungsmecha-nische Simulationen mehrphasiger Rührpro-zesse wurden zunächst transiente CFD-Si-mulationen (Computational Fluid Dynamics) einphasiger Rührprozesse durchgeführt und mit experimentellen Ergebnissen verglichen. Um eine CFD-Simulation von partikulärer Strömung mit makroskopischen Partikeln zu ermöglichen, wurden darauf aufbauend CFD/DEM-Simulationen (Discrete Element Method) aufgesetzt. Mit Hilfe der daraus di-rekt gewonnenen Informationen über Par-tikelverteilungen und Kollisionen wurde eine modifizierter Widerstandsbeiwert sowie ein Modell zur Kollisions- und Schädigungsvo-rhersage abgeleitet, das lediglich auf lokalen Partikelkonzentrationen und Scherraten ba-siert. Dies ermöglicht es nun, reine CFD-Simulationen zur Schädigungsvorhersage der stückigen Phase durchzuführen.
Experimentell wurde ein transparenter, brechungsindexangepasster Versuchsauf-bau entwickelt und damit Rührexperimente durchgeführt, mit denen ein aus der Indus-trie vorgegebenes Rührerdesign beispielhaft hinsichtlich induzierter lokaler Belastungs-größen (Geschwindigkeitsbetrag sowie Scher- und Dehnrate) vermessen wurde. Mit diesen Daten wurde ein neuronales Netz trainiert und erfolgreich getestet, welches bei Vorgabe von Viskosität, Partikelanteil und Drehzahl die induzierten Belastungs-größen vorhersagt.

Wirtschaftliche Bedeutung:
Die Ergebnisse sind insbesondere für Her-steller von Fruchtzubereitungen von Rele-vanz. Der Umsatz der obst- und gemüse-verarbeitenden Industrie lag 2016 bei ca. 5,3 Mrd. €, davon entfielen auf Fruchtaufstriche 436 Mio. €.
Die Herstellung der Fruchtzubereitungen er-folgt im Chargenbetrieb in Rührapparaten mit Volumina von bis zu 6.000 l, was bei ei-ner Erdbeerfüllung einem Wert von 12.000 € entspricht. Ein Mehrpreis von nur 10 €/t durch die Verbesserung der Qualität der Fruchtzubereitungen würde bei einer jähr-lichen Produktionsmenge von 282.000 t zu einem Gewinn von 2,82 Mio. € führen. Dar-über hinaus werden sich auf Basis der Er-gebnisse auch neue Rezepturen umsetzen lassen. Dies gibt gerade kleinen und mittel-ständischen Unternehmen die Möglichkeit, kleinere Chargen, z.B. mit exotischen Früch-
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ten, als Nischenprodukte in höchster Quali-tät herzustellen. Daneben ziehen auch End-produkthersteller, die Fruchtzubereitungen einsetzen, Nutzen aus den Projektarbeiten. Bei zusätzlicher Betrachtung des internatio-nalen Marktes für Fruchtzubereitungen, der insbesondere in Russland stark expandiert, sind auch Impulse für den Export zu er-warten.
Die Ergebnisse lassen sich auch auf Pro-dukte mit grobstückigen Gemüseeinlagen übertragen.
Mit Projektende liegen Zusammenhänge zwischen Prozessparametern und der resul-tierenden Beanspruchung grobdisperser Partikeln vor. Durch die im Forschungs-projekt erarbeiteten Daten zur Vorhersage der optimalen Fahrweise des Rührkessels besteht die Möglichkeit, eine Auslegung und Fahrweise der Apparate, die die Bean-spruchung minimiert, zu realisieren. Der Leitfaden besteht aus einem Künstlichen Neuronalen Netz (KNN), das optimierte zeitliche Temperatur-/Drehzahlprofile vor-schlägt. Dieser ermöglicht KMU, Prozess-führungsempfehlungen für bestehende An-lagen gemäß ihren Bedürfnissen durch einfache Berechnungen mit Betrieb einer Software auf handelsüblichen PCs ohne Pro-grammierkenntnisse zu erhalten. Damit wird die Anwendung des vorwettbewerblichen Leitfadens in konkreten Betrieben letztlich zu Produkten mit verbesserter Qualität führen. Die Umsetzung der Projektergebnisse zur Herstellung qualitativ hochwertiger Frucht-zubereitungen erfordert keine größeren Investitionen, so dass die Umsetzungs-hürden gerade für KMU niedrig sind.

Publikationen (Auswahl):
1. FEI-Schlussbericht 2019.
2. Vulprecht, L., Wölken, T. und Rauh, C.: Locating the occurence of detrimental mechanical effects on fruit particles in the processing of chunky fruit prepara-tions through experiment and simu-lation. EFFoST-Jahrestagung, Nantes, Frankreich, 06.-08.11.2018, 2.187 (2018).
3. Vulprecht, L., Wölken, T. und Rauh, C.: Lokalisierung unerwünschter mecha-nischer Effekte auf Fruchtpartikel bei der Verarbeitung stückiger Fruchtzuberei-tungen in Experiment und Simulation.
GALA Fachtag. Exp. Strömungsmech., Rostock, 4.-6.09.2018, 44.1-44.8 (2018).
4. Vulprecht, L., Wölken, T. und Rauh, C.: Numerical and experimental investiga-tion of mechanical stress in the pro-cessing of chunky fruit preparations. ICEFM Intern. Conf. Exp. Fluid Mech., München, 2.-4.07.2018, 70 (2018).
5. Vulprecht, L., Wölken, T. und Rauh, C.: Numerical and experimental investi-gation of mechanical stress in the processing of chunky fruit preparations. EFFoST-Jahrestagung, Sitges (Spanien), 13.-16.11.2017, O9.1 (2017).
6. Vulprecht, L., Wölken, T. und Rauh, C.: Numerische und experimentelle Unter-suchung mechanischer Belastungen bei der Verarbeitung stückiger Fruchtzube-reitungen. GALA Fachtag. Exp. Strö-mungsmech., Karlsruhe, 5.-7.09.2017, 40-1-40-8 (2017).
Der Schlussbericht ist für die interessierte Öffentlichkeit bei den Forschungsstellen ab-zurufen.
Weiteres Informationsmaterial:
DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e.V.
Prof.-von-Klitzing-Straße 7
49610 Quakenbrück
Tel.: +49 5431 183-232
Fax: +49 5431 183-200
E-Mail: info@dil-ev.de
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FG Lebensmittelbiotechnologie und -prozesstechnik
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Tel.: +49 30 314-71250
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