Auswirkungen der Wechselwirkungen von Roggenhemicellulosen und –proteinen auf die Brot-qualität insbesondere das Trockenbacken

AiF 19354 N

Koordinierung:
Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI), Bonn

Forschungsstelle I:
Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e.V. (DIL), Quakenbrück
Dr. Volker Heinz/ Dr. Ute Bindrich

Forschungsstelle II:
Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung ILU e.V.
Prof. Dr. S. Rohn / A. Voß

Forschungsstelle III:
Universität Hamburg
Institut für Lebensmittelchemie
Prof. Dr. S. Rohn / Prof. Dr. S. Rohn

Industriegruppe(n):
Unternehmen der Mühlen- und Backwarenindustrie, Zusatzstoffhersteller

Projektkoordinator:
Dr. Markus Brandt
Ernst Böcker GmbH & Co. KG, Minden

Laufzeit:
2017 - 2020

Zuwendungssumme:
€ 569.580,00
(Förderung durch BMWi via AiF/FEI)

Ausgangssituation

Insbesondere im deutschsprachigen Raum hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine Brotvielfalt entwickelt, die in anderen Teilen der Welt nicht ansatzweise vorhanden und  seit dem 10. Juli 2013 als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt und geschützt (ZV des Dt. Bäckerhandwerks) ist. Zu dieser Brotvielfalt trägt Roggen als Rohstoff in hohem Maße bei. Roggenbackwaren zeichnen sich durch einen herzhaften Geschmack, ein gutes Sättigungsvermögen und gute Frischhaltungseigenschaften aus. Allerdings sind der Bedarf bzw. die Roggenvermahlung stagnierend bis leicht rückläufig (Statistisches Jahrbuch-BMEL 2014). Das steht einerseits in Verbindung mit abnehmender Nachfrage nach Roggenbrot (enthält > 90 % Roggenmahlprodukte gemäß der Leitsätze für Brot und Kleingebäck; 2005) und andererseits mit dem sinkenden Anteil von Roggenmahlprodukten in Mischbroten (Zentgraf & Schulze 2008). Ein wesentlicher Grund dieser Entwicklung ist eine mangelhafte Qualität der Roggen- und roggenbasierten Brote. Wie bereits seit längerer Zeit bekannt ist, sind die Fehler, die als „Trockenbacken“ bezeichnet werden, nicht an betriebliche oder technologische Situationen gebunden, sondern sind ausschließlich rohstoffabhängig. Sie betreffen generell roggenhaltige Rezepturen, sowohl Kastenbrote als auch frei geschobene Brote. Der etablierte Einsatz von Brüh- und Kochstücken sowie einer langen Teigführung waren bisher nicht dazu geeignet, Probleme aufgrund mangelnder Backeigenschaften der Roggenmahlprodukte auszugleichen. Aus der Gesamteinschätzung der besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE des MRI im Auftrag des BMEL) sowie der Mühlenmuster bei Getreide und Mehlen resultierte die (nicht neue) Feststellung, dass die Roggenbrote den Verbraucheransprüchen nur noch bedingt genügen und nur durch den Einsatz gut backfähiger Weizenmehle der Type 550 ab 30-40 % der Gesamtmehlmenge den Qualitätsansprüchen gerecht werden könnten (Sciurba et al. 2015). Diese Situation der Qualitätsmängel in den Roggenmahlprodukten besteht mit geringfügigen jährlichen Abweichungen seit mindestens 10 Jahren (Münzing et al. 2012, 2013, 2015; Unbehend 2013; Seling et al. 2009, 2010). Eine Veränderung dieser Situation ist nicht absehbar, kann aber nicht länger hingenommen werden, da aus ernährungsphysiologischer Sicht der verstärkte Verzehr von Roggen und roggenbasierten Broten gefordert wird.

Roggen ist mit über 14 g/100g das ballaststoffreichste Brotgetreide  (Boros 2012; Wissensforum Backwaren 2015). Ernährungsbedingte Gesundheitsprobleme haben in vielen wirtschaftlich entwickelten Ländern nach wie vor eine steigende Tendenz. Roggen kann als Brotgetreide in einem Massenmarkt bei einem Pro-Kopf-Verzehr von bis zu 60 kg Brot und Kleingebäck (anteilig von 87 kg Backwarenerzeugnissen insgesamt; Vereinigung Getreide-, Markt- und Ernährungsforschung/www.gmf-info.de; abgefragt 07.05.15) ideale Voraussetzungen bieten, die von der DGE resp. von der DACH-Organisation empfohlene Höhe der Ballaststoffzufuhr von 30 g/ Tag wesentlich mit abzudecken. Getreideballaststoffe, die dem ligningebundenen Typ der Ballaststoffen zuzuordnen sind, werden wegen vielfältiger präventiver Wirkungen, z.B. für die Senkung der Risikofaktoren kardiovaskulärer Erkrankungen, Tumorerkrankungen und von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes Typ II und Blutcholesteringehalt, höher eingeschätzt als Obst- und Gemüseballaststoffe (z.B. Jensen et al. (2004, 2006), Park et al. (2011), Steffen et al. (2003)).

Forschungsergebnis:

Die Backwarenindustrie hat in den letzten Jahren mit sehr begrenztem Erfolg versucht, den Phänomenen des „Trockenbackens“ durch amylolytisch aktive Backmittel sowie den Zusatz von Hydrokolloiden zu begegnen. Diese Ausgangssituation war Grundlage des Forschungsansatzes, Strukturbildungs- und Strukturveränderungsvorgänge außerhalb der Wechselwirkungen von Stärke und Amylase zu untersuchen. Damit rücken die Proteine und die Hemicellulosen des Roggens in den Fokus wissenschaftlicher Aktivität. Ausgehend von den Ergebnissen des Vorläuferprojekts wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Zugänglichkeit der Stärke für Wasser als Voraussetzung für eine ausreichende Stärkeverkleisterung und die Verfügbarkeit von Wasser durch Proteindenaturierung eingeschränkt sein können. Diese Hypothesen wurden durch die Ergebnisse des Projekts bestätigt. 

Die quantitative Analyse der Inhaltsstoffe von Roggenmahlprodukten erlaubt hingegen keine sicheren Rückschlüsse für die Eignung als Brotroggen. Lediglich die Menge an Pentosanen und β-Glucanen und der Stärkegehalt sind Parameter, die hier hilfreich sind. Derartige Untersuchungsmethoden sind allerdings nicht in den Betriebslabors von Mühlen und Backwarenbetrieben etabliert. 

Eine weitere wesentliche Erkenntnis des Projektes besteht darin, dass Proteine und Hemicellulosen ihre Wechselwirkungen mit Wasser in Abhängigkeit vom pH-Wert in starkem Maße verändern. Aus diesem Grund erfolgte grundsätzlich die Aufarbeitung der Inhaltsstoffe der Roggenschrote mit Wasser, das auf pH 4,0 eingestellt war. Die resultierenden pH-Werte erlauben über die Pufferwirkung der Proteine Rückschlüsse auf die Zugänglichkeit der ionisierbaren funktionellen Gruppen. Dieses ist sowohl von der quartären Struktur der Proteine als auch von einer Komplexbildung mit Hemicellulosen abhängig. Die erwartete Erhöhung der Löslichkeit der Proteine war nicht bei allen untersuchten Mustern zu verzeichnen. Es wurde ermittelt, dass weitere Einflussfaktoren existieren, die bisher nicht quantifizierbar sind. Das betrifft die Wechselwirkungen zwischen Proteinen und Hemicellulosen, die entweder kovalent oder nicht kovalent sein können und Veränderungen an den Stärkekornoberflächen unter den Bedingungen des Wassermangels, die zu einer erheblichen Einschränkung der Zugänglichkeit der Stärke für Wasser führen.

Es wurde eine große Anzahl analytischer Daten für ausgewählte Roggenmuster aus 4 Erntejahrgängen ermittelt. Die durchgeführte Datenanalyse erlaubt es, zu ermitteln, welche dieser Parameter die Krumenqualität mit einer Signifikanz von 95 bzw. 99% beeinflussen. Diese Ergebnisse sind in Übereinstimmung mit den Hypothesen des Projekts, zeigen aber auch, dass keine einfachen Messmethoden existieren, anhand derer gut backfähiger Roggen von trockenbackenden Partien unterschieden werden kann.

Mit Hilfe der ermittelten Parameter, die die Krumenqualität signifikant beeinflussen, konnte mittels multipler, quasilinearer Regression der Zusammenhang von Einflussparametern und Zielgröße mit einem Bestimmtheitsmaß von R² = 0,711 spezifiziert und quantifiziert werden. Allerdings ist die Bestimmung des β-Glucangehalts der Fraktion Stärke 2 nicht per se für ein Betriebslabor geeignet. Hier ist es aber vorstellbar, z.B. im Rahmen eines nachfolgenden ZIM-Projekts einen chemometrischen Zusammenhang zwischen analytischen Werten und NIR-Spektren zu ermitteln. Es wird allerdings auch bei Kenntnis der wichtigen Stoffdaten nur eine relativ grobe Zuordnung der Roggenmahlprodukte zu trockenbackenden Eigenschaften möglich sein. Das ist darauf zurückzuführen, dass eigenschaftsbestimmende Phänomene wie die „Versiegelung“ von Stärkekornoberflächen bei Verkleisterung unter der Bedingung des Wassermangels, noch nicht untersucht sind. Hierzu sind noch grundlegende Untersuchungen erforderlich. Allein die Oberfläche von Stärkekörnern detailliert zu untersuchen, erfordert technische Voraussetzungen, die auch eine gehobene Laborausstattung nicht aufweist.

Forschungsstelle 3 hat sich intensiv mit den Wechselwirkungen zwischen den Proteinen, Hemicellulosen und phenolischen Verbindungen des Roggens beschäftigt, um Rückschlüsse in Hinblick auf die Gebäckqualität treffen zu können. Es wurde zwischen kovalenten und nicht-kovalenten Wechselwirkungen unterschieden, wobei der Fokus nach Untersuchungen von Protein-Hemicellulose-Extrakten durch pH-Wert Änderung und enzymatische Hydrolyse (Xylanase, Protease, Amidase) auf der Charakterisierung der kovalenten Wechsel-wirkungen lag. Es wurden zwei Methoden zur Untersuchung des Proteinprofils und deren Abbauprodukten herangezogen (SDS-PAGE, MALDI-ToF-MS), um Unterschiede zwischen Schrotmustern mit auffällig schlechten und auffällig guten Gebäckeigenschaften zu detektieren. Zusätzlich wurden die Gel- und Stärkephasen dieser Schrotmuster untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass die Gelphase proteinhaltige Verbindungen aus den Fraktionen der Prolamine und Gluteline mit einem Molekulargewicht von über 250 kDa beinhaltet. Aufgrund der Größe ist es wahrscheinlich, dass es sich hier um eine komplexe Verbindung aus Proteinen und Hemicellulosen handelt. In der Stärkephase konnte das 75k- ɣ -Secalin als abundantestes Protein identifiziert werden. In einem modellhaften Versuch wurden die komplexbildenden Eigenschaften des 75k- ɣ -Secalins mit der Hemicellulose Arabinoxylan bestätigt. Die Phenolsäure Ferulasäure, die in Roggen ubiquitär vorkommt, wurde als Crosslinker, der für die Komplexbildung zwischen Protein und Arabinoxylan essentiell ist, identifiziert. Ebenso wurden die Aminosäuren, über die die Proteine mit der Ferulasäure wechselwirken können, bestimmt.

Wirtschaftliche Bedeutung:

Das wirtschaftliche Potential des Forschungsvorhabens betrifft die gesamte Wertschöpfungskette. Für die Landwirtschaft ist der Roggenanbau in der Fruchtfolge notwendig und ermöglicht zudem eine effektive Bewirtschaftung ertragsschwacher Böden. Die Umsetzung der Trinkwasserrichtlinien (EG-WRRL 2000) und in deren Folge die Einhaltung der Dünge-Verordnung (DüV 2006), die mit starken Einschränkungen bei der N-Düngung verbunden ist, wird bei Hochleistungsweizen zu einem Rückgang des Ertrages, des Proteingehaltes und der Backfähigkeit führen (Müntzing 2015). Die zunehmend favorisierten "Alten Weizensorten", die nicht auf die übliche N-Spätdüngung ansprechen, aber deutlich ertragsschwächer sind, stellen keine wirkliche Alternative dar. Letztlich ist vor allem der Anbau von Roggen sinnvoll. Die Backwarenindustrie steht vor der Herausforderung, ein hohes Qualitätsniveau der Roggenbackwaren sicherzustellen und Produkte zu entwickeln, die insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen. Mit den Mitteln der modernen Kommunikation gilt es, den Verbrauchern die Vorzüge von roggenhaltigen Produkten zu vermitteln.

Der derzeitige Anteil dieser Produktgruppe macht mit etwa 3,3 Mrd. Euro ein Fünftel des Gesamtjahresumsatzes der Backwarenbranche aus (Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks). Im Bundesdurchschnitt liegt der Brotpreis bei rund 2 Euro je kg (Klümpen, 2010). Roggen- und roggenhaltige Brote zählen in Umfragen zu den beliebtesten Brotsorten Deutschlands. Bei einer gesamten Erntemenge an Roggen im Jahr 2014 in Höhe von 3,845 Mio. t (im Jahr 2015 bei 3,345 Mio. t) wurden im Getreidewirtschaftsjahr 2013/2014 Mahlprodukte in Höhe von 701.581 t hergestellt (BMEL 2014 & 2015). Dieser Umstand verdeutlicht, dass eine Verbesserung der Roggenqualität erforderlich ist, um perspektivisch höhere Umsatzzahlen mit Roggenbackwaren generieren zu können. Während bei länger haltbaren Broten Qualitätsmängel unmittelbar augenscheinlich sind, führen diese im Handwerk und bei kleineren Filialisten selten zu Reklamationen. Trotzdem ist Umsatz und damit wirtschaftlicher Erfolg auch bei KMU im Bäckereigewerbe vor allem qualitätsabhängig. Ein tendenzieller Rückgang des Roggenverbrauchs in der Ernährung, der vor allem mit der Abnahme des Roggenanteils in Mischbroten verbunden ist, sollte in Anbetracht der ernährungsphysiologischen Bedeutung von Roggen mehr denn je Anlass sein, die Probleme, die gegenwärtig mit der Verarbeitung von Roggen verbunden sind, zu beheben.

Mit den erarbeiteten Lösungen stehen Kenntnisse zur Verfügung, die zu einem besseren Verständnis der Backfähigkeit des Roggens führen. Insbesondere die Mühlenindustrie kann auf der Grundlage der Erkenntnisse hinsichtlich der Zusammensetzung der Mahlprodukte auch bei Partien, die grundsätzlich trockenbackende  Eigenschaften haben, den Backwarenbetrieben Mehlmischungen zur Verfügung stellen, die eine gute Brotqualität ohne Rissbildung ermöglichen. 

Publikationen (Auswahl):

FEI Abschlussbericht 2020
DIL Jahresbericht 2017/2018; 2019/2020

Weiteres Informationsmaterial:

DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e.V
Prof.-v. Klitzing-Straße 7, 49610 Quakenbrück
Tel.: 05431 / 183-0 Fax: 05431 / 183 114
E-mail: u.bindrich@dil-ev.de

Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung ILU e.V.
Arthur-Scheunert-Allee 40/41,
1558 Nuthetal
Tel.: 033200 89-0  Fax 030 7001432193
E-mail: Alexander.Voss@ilu-ev.de

Universität Hamburg
Institut für Lebensmittelchemie
Grindelallee 117, 20146 Hamburg
Tel.: 040 42838-7979; Fax 040 42838-4342
rohn@chemie.uni-hamburg.de

Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI)
Godesberger Allee 125, 53175 Bonn
Tel.: +49 228 3079699-0
Fax: +49 228 3079699-9
E-Mail: fei@fei-bonn.de

Der Schlussbericht ist für die interessierte Öffentlichkeit bei den Forschungsstellen abzurufen.